Exzentrisches Training: Wie die Negativ-Phase Ihr Kraftraining bereichert (2024)

Von Trainingsworld vomAthletik, Krafttraining, Muskelaufbau

credits: shutterstock /Kjetil Kolbjornsrud

Exzentrisches Training: Julius Teuber zeigt die Besonderheiten und Vorteile dieser Trainingsart auf. Außerdem geht er der Frage nach, ob der Fokus auf die exzentrische Phase zu einem verstärkten Hypertrophie-Effekt führt.

Was ist exzentrisches Training?

Zur Ausführung unterschiedlicher Bewegungen verfügt die Muskulatur über verschiedene Arbeitsweisen, die durch einzigartige neuronale Aktivierungsmuster realisiert werden. Es wird zwischen statischer (isometrischer) und dynamischer (konzentrischer und exzentrischer) Muskelarbeit unterschieden. Bei der negativen Arbeitsweise, der Exzentrik, ist die innere Kraft der Muskulatur kleiner als die äußere Kraft des Widerstandes und zieht damit die aktivierte Muskulatur in die Länge. Beim Runtergehen in die Kniebeuge (Exzentrik) wird beispielsweise der M. gluteus maximus in die Länge gezogen – Ansatz und Ursprung bewegen sich voneinander weg –, während er sich beim Hochkommen verkürzt – Ansatz und Ursprung nähern sich an

Die unterschätzte exzentrische Phase

Oft beobachtet man Trainierende dabei, wie sie gerade der negativen Phase einer Übung (z. B. dem Ablassen beim Klimmzug) kaum Beachtung schenken und diese fast „überspringen“, als wäre sie eine negative Begleiterscheinung der konzentrischen Phase. Dabei ist es gerade diese exzentrische Phase, die einige interessante Eigenschaften aufweist, von denen Trainierende extrem profitieren können.

Warum bringt exzentrisches Training für die Muskeln?

Muskeln können höhere absolute Kräfte in exzentrischer Arbeitsweise erzeugen als in konzentrischer Arbeitsweise. Einfach ausgedrückt ist die exzentrische Maximalkraft größer als die konzentrische Maximalkraft (ca. 20-50 Prozent). Deshalb limitiert die schwächere konzentrische Phase die Kraftübungen. Schließlich wird beim Bankdrücken nie jemand sagen: „Ich kann nicht höher gehen, denn ich kann das Gewicht nicht mehr ablassen.“ Neben den von der Exzentrik generierten höheren Kräften, verbraucht der Muskel gleichzeitig weniger Energie und Sauerstoff.

Der Energieverbrauch einer exzentrischen Bewegung ist ungefähr vierfach geringer als der der gleichen konzentrischen Bewegung. In der exzentrischen Phase weist der Muskel eine verringerte neuronale Aktivierung auf. Durch die geringere neuronale Aktivierung werden weniger motorische Einheiten für die gleiche Kraftanstrengung rekrutiert, wodurch sich mehr Spannung auf weniger Muskelfasern verteilt. Das bedeutet mehr Stress für die einzelnen aktiven Muskelfasern. Dadurch erklärt sich auch, wieso Muskelkater verstärkt nach exzentrischen Belastungen auftritt.

Wie wirkt exzentrisches Training?

Über die Gründe haben Wissenschaftler lange debattiert, denn das vorherrschenden Modell zur Muskelkontraktion, die von Huxley 1954 formulierten „Gleitfilamenttheorie“ (GFT), konnte die Besonderheiten der exzentrischen Kontraktion nicht erklären. Aus den offenen Fragen entwickelten sich schließlich neue Erklärungsmodelle. Bis heute wird diskutiert, wie genau die Besonderheiten von exzentrischem Training zu erklären sind.

Zwei Erklärungsansätze zum exzentrischen Training

1. Die aktive Rolle von Titin

Dem elastischen Filament Titin wird eine wichtige Rolle bei der negativen Muskelarbeit zugeschrieben. Nach aktuellem Wissensstand geht Titin bei Kalziumeinstrom (also bei Aktivierung des Muskels) eine Bindung mit Aktin ein. Außerdem erhöht es dessen Steifheit und wickelt sich bei einer Muskelkontraktion (sowohl in der Konzentrik als auch in der Exzentrik) um das Aktinfilament herum, was als „Winding Filament Hypothese“ bezeichnet wird. Das gestraffte und verkürzte Strukturprotein Titin wirkt in der Exzentrik der aktiven Muskeldehnung entgegen und speichert elastische Energie. Als passive elastische Komponente verbraucht Titin keine Energie, was ebenfalls den geringeren Energieverbrauch erklärt.

2. Mehr arbeitende Myosinköpfe

Des Weiteren könnte die gesteigerte Kraft zusätzlich durch eine größere Zahl aktiv gebundener Myosinköpfe erklärt werden. Ein Myosinmolekül besteht aus zwei Myosinköpfen, wovon unter konzentrischer Kontraktion immer nur einer am Aktin andockt. Als Antwort auf die höhere Spannung im Muskel während aktiver Dehnung (Exzentrik) kommt es nun dazu, dass beide Myosinköpfe gleichzeitig eine Verbindung eingehen. Interessanterweise wird dafür aber nur die gleiche Menge Energie benötigt, das bedeutet doppelt so viele Myosinverbindungen bei gleichem Energieverbrauch.

Wie profitiert man in der Praxis von exzentrischem Training?

Exzentrisches Krafttraining (EKT) wird häufig mit dem Ziel eingesetzt, die sportliche Leistungsfähigkeit zu verbessern und Kraft und Muskulatur aufzubauen. Immer häufiger wird diese Trainingsform auch im präventiven und rehabilitativen Bereich eingesetzt, um vor allem das Muskel-Sehnen-System zu kräftigen oder wieder schmerzfrei zu machen. Besonders bei Tendinopathien (Überlastungserscheinungen, die mit pathologischen Veränderungen des Gewebes einhergehen) hat sich EKT als sehr effektiv erwiesen.

Exzentrisches Krafttraining für Kraft und Muskelaufbau

Eine Vielzahl an Studien schreibt dem exzentrischen Krafttraining einen größeren Hypertrophieeffekt und ein größeres Potenzial für eine Kraftsteigerung zu als dem konzentrischen oder isometrischen Training. Aber Achtung: Anpassungen ans Krafttraining sind immer höchst speziell und so passt sich der Körper auch spezifisch der Kontraktionsform an.

Anders ausgedrückt: Durch rein exzentrisches Training steigern wir besonders die exzentrische Kraft, durch konzentrisches Training steigern wir vermehrt die konzentrische Kraft (SAID-Prinzip: Jede Anforderung an den Organismus hat ganz spezifische Anpassungen zur Folge). Da in der Biologie alles auf einem Kontinuum stattfindet, darf man natürlich nicht schlussfolgern, dass das betonte exzentrische Training keinerlei Auswirkungen auf die konzentrische Kraftfähigkeit habe; es kommt sicherlich zu einem gewissen Transfereffekt.

Trainingsvariation für exzentrisches Training

Die Dauer der negativen Phase und damit die Manipulation der Zeit, für die die Muskeln in einem Trainingssatz unter Spannung stehen „Time under Tension“ (TUT) kann in der Trainingsplanung als Stellschraube für Progression und Variation dienen. Beispielsweise könnte die Kniebeuge zunächst mit einer negativen Phase von 3 Sekunden durchgeführt werden und nach einigen Trainingseinheiten dann auf 6 Sekunden gesteigert werden. Man muss nicht gleich die komplette Übung ändern, um sein Training zu variieren; kleinere Stellschrauben wie diese genügen häufig schon.

Den limitierenden Faktor umgehen

Die höhere Maximalkraft der Exzentrik können wir im Training ausnutzen, um Kraftübungen zu erlernen, in der die konzentrische Phase noch nicht möglich ist. Wenn sich ein Kunde z. B. aus Kraftmangel noch nicht in den Klimmzug hochziehen kann, kann er ihn zunächst nur exzentrisch ausführen, indem er hochspringt und dann die negative Phase auf bis zu 20 Sekunden ausdehnt. Dies wäre eine Möglichkeit, den Klimmzug zu erlernen. Das Klimmzugtraining mit elastischen Bändern empfehle ich nicht, da hier Kraft- und Widerstandskurve nicht übereinstimmen.

Rehabilitation/Prävention

Exzentrisches Training hat eine hohe Wirksamkeit zur Vorbeugung von Sportverletzungen, wie beispielsweise Zerrungen oder Muskelfaserrissen im Bereich der Hamstrings. Außerdem verwendet man EKT seit einigen Jahren mit sehr großem Erfolg zur Behandlung von Tendinopathien an verschiedensten Körperstellen. Unsere Sehnen sind mechanosensitive Zellen, die mechanische Signale (die EKT verursachet) in biochemische Signale übersetzen und sich dementsprechend anpassen. Als Antwort auf das EKT verändert die Sehnenzelle (Tenozyt) ihre Genexpression, die Proteinsynthese und ihre strukturellen Eigenschaften, was den Heilungsprozess positiv beeinflusst.

Beweglichkeit

Als Antwort auf EKT über den vollen Bewegungsradius bildet der Muskel neue Sarkomere (kleinste funktionelle Einheiten des Muskels) und erhöht dadurch seine Faszikellänge. Durch die Längenzunahme des Muskels stellt exzentrisches Training eine sehr gute Möglichkeit dar, die Beweglichkeit von Trainierenden zu verbessern.Eine größere Faserlänge kann ebenfalls ein präventiver Schutz vor Verletzungen am Muskel- Sehnen- Apparat sein.

Fazit

Konzentrische und exzentrische Muskelarbeit scheinen Muskelfasern in unterschiedlichen Mustern zu rekrutieren, zu unterschiedlichen Signalkaskaden und Antworten innerhalb der Zelle zu führen und unterschiedliche morphologische Anpassungen im myofaszialen System hervorzurufen. Man kann zwar nicht sagen, dass die eine Kontraktionsform der anderen überlegen ist – man sollte aber die Besonderheiten des EKT im Kopf behalten und für das Training nutzen. Somit gibt es kein „Entweder-oder“ und kein „Schwarz oder Weiß“ – wie so oft kommt es auf eine Balance oder eine begründete Tendenz in die eine oder andere Richtung an.

Diese Übungen eignen sich im exzentrischen Training

Copenhagen Plank

Die Übung startet mit dem Körper in einer Linie in leichter Schräglage und endet mit dem Körper in leichter U-Haltung. Sie bietet sich als Prehab-Übung der Adduktoren an. Es ist darauf zu achten, den Ellenbogen direkt unter der Schulter zu platzieren und sich aktiv aus der Schulter rauszudrücken. Als Alternative zum Rack könnte man die Übung auch als Partnerübung durchführen oder Schlingentrainer benutzen.

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Exzentrisch betonte Kniebeuge

Durch die erhöhte Ferse kann der Oberkörper aufrechter gehalten werden und die Knie können weiter vor die Fußspitzen wandern, was den Stress auf die Patellasehne vergrößert. Die exzentrisch betonte Kniebeuge hat sich als sehr effektiv in der Behandlung von Tendinopathien an der Patellasehne erwiesen.

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Reverse Nordic Hamstring

Mit dieser Übung kann der M. rectus femoris exzentrisch belastet werden. Somit kann sich die Knieflexion und Hüftextension verbessern. Es ist darauf zu achten, dass der Übende den Oberkörper und die Oberschenkel in einer Linie hält. Statt dem Fußrücken kann man alternativ auch die Zehenspitzen aufstellen. So verringert man etwas die ROM und hat gleichzeitig eine schöne Mobilisation der Dorsalextension der Fußgelenke. Als Progression kann der Übende Gewichtsscheiben vor die Brust nehmen oder mit Widerstandsbändernarbeiten, die Zug nach hinten ausüben.

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Autor und Sportexperte: Julius TeuberExzentrisches Training: Wie die Negativ-Phase Ihr Kraftraining bereichert (8)

Der M.Sc. Sportwissenschaftler und Physiotherapeut i. A. arbeitet in Leipzig als Personal Trainer und Referent an der Schnittstelle zwischen Training und Therapie.

www.juliusteuber.de

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Author: Kelle Weber

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